Norbert Lopper

(Wien 1919 – Wien 2015): Zwangsarbeit im „Kanada Kommando“

Der Klubsekretär des Fußballklubs Austria Wien im KZ

Aufgewachsen ist Norbert Lopper in einer jüdischen Familie in der Rauscherstraße in Wiens 20. Bezirk. Die Freizeit verbrachte er als Kind und Jugendlicher mit fußballbegeisterten Gleichaltrigen im nahe liegenden Augarten. Das war auch wichtig, denn die Familie, bestehend aus vier Söhnen und zwei Töchtern, lebte auf engstem Raum in einer Zimmer-Küche-Kabinett-Wohnung. Vater Leo, ein Invalide des Ersten Weltkriegs, handelte mit Aquarellen und Radierungen, die er auf Reisen am Land verkaufte, Mutter Regine arbeitete während der Saison als Kürschnerin und nähte zu Hause Bettwäsche. Wie in vielen anderen jüdischen Familien war die aus Galizien stammende Mutter gläubig: „Wir waren gläubig, aber nicht religiös.“

Norbert Lopper war ein schlechter Schüler, bloß im Sportunterricht brillierte er. Als Jugendlicher trat er der Fußballsektion des jüdischen Allround-Sportklubs Hakoah bei und spielte dort im Mittelfeld als „Läufer“. Die Fußballmannschaft der Hakoah war berühmt, immerhin einmal österreichischer Meister. 1934 begann er eine Lehre als Installateur. Sein Meister, ein Antisemit, schikanierte ihn. Lopper hielt es nicht lange aus und ließ sich auf Füllfeder-Reparaturen umschulen.

Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme schickte die Mutter ihn als ältesten Sohn auf die Flucht. Im Juni 1938 überquerte er ohne Papiere illegal die belgische Grenze. Ihm folgten die Geschwister und Eltern nach Belgien, auch weil dort bereits Geschwister der Mutter hingeflüchtet waren. In Brüssel konnte Lopper für die jüdischen Fußballklubs Étoile Bruxelles und später Maccabi Bruxelles spielen und damit ein wenig Geld verdienen. Er verliebte sich in eine zwei Jahre jüngere jüdische Frau, Rebecca Cige, die mit ihren Eltern aus Berlin nach Belgien geflüchtet war.

Im Mai 1940 überfiel die Deutsche Wehrmacht das neutrale Belgien. Mit der Familie seiner späteren Frau flüchtete Norbert Lopper ins südfranzösische Revel. Er wurde im Lager Saint-Cyprien nahe der spanischen Grenze interniert. Ende Juli 1940 flüchtete er aus dem Lager. Aus schwer nachvollziehbaren Gründen wollten die Eltern seiner Partnerin aus dem unbesetzten Teil Südfrankreichs zurück nach Brüssel. Lopper kam mit und traf dort wieder auf seine Familie, mit Ausnahme des in Südfrankreich internierten Vaters. Im Oktober 1940 heiratete er Rebecca. 1942 wurde das Ehepaar aufgefordert, sich „zum Arbeitseinsatz“ einzufinden. Die Schwiegereltern wollten, dass die beiden auch die jüngere Tochter Sonja mitnehmen, damit die Schwestern zusammenbleiben.

Im August 1942 wurden die drei mit Personenwaggons in das KZ Auschwitz deportiert. Norbert Lopper landete bei einem Tiefbaukommando mit einem brutalen polnischen Vorarbeiter, der Schläge austeilte. Nach wenigen Wochen verließen Norbert Lopper seine Kräfte, er war nahe daran, seinem Leben am elektrisch geladenen Zaun ein Ende zu setzen. In diesem Moment traf er auf einen Unterkapo des „Kanada-Kommandos“, einen Rom aus Wien, und sprach ihn an: „‚Können Sie für mich net was tun?‘ […] ‚Von wo bist du?‘ Sag ich: ‚Aus Wien.‘ Sagt er: ‚Komm, stell dich da rein, auf meinen Platz.‘“ Mit „Kanada“ war die Effektenkammer gemeint, in der Häftlinge im Schichtdienst das den Ankommenden geraubte Eigentum zur Weiterverwertung sortierten. Norbert Loppers Aufgabe war es etwa, Koffer zu öffnen und den Inhalt zu sortieren, oder auch, an der Rampe das Gepäck der ankommenden Deportierten aus- und danach auf LKW aufzuladen. In den Waggons lagen aber auch Schwerverletzte, Tote, zertrampelte Kinder. Die Rampe war jener Ort, an dem Ärzte – bekannt ist vor allem Josef Mengele – in Sekundenschnelle bei den Selektionen entschieden, wen sie für zwangsarbeitsfähig hielten und wen nicht, sie entschieden also im Sekundentakt über Leben und Tod. Lopper und andere versuchten dabei, Menschenleben zu retten. Das war riskant. Älteren flüstern sie zu, dass sie lügen und sich bei der Selektion jünger machen sollten, um für Zwangsarbeit ausgewählt zu werden. Besonders schlimm war es für Mütter mit jungen Kindern oder Babys. Wenn sich die Mütter nicht trennten, wurden sie mit ihren Kindern ermordet.

Norbert Lopper erlebte eine Szene, die an Dramatik nicht zu überbieten war. Er hatte sich gerade zum Kartoffelkommando gemeldet, als er zufällig bemerkte, dass bei einem neu ankommenden Deportationszug sein Bruder und seine Mutter unter den Ankommenden waren. Er brach in Panik aus, denn es war ihm klar, dass seine Mutter angesichts ihres Alters ermordet werden würde. Um sie zu retten, redete er auf seinen Wiener Freund vom Kanada-Kommando, den Spanienkämpfer Hans Schor, ein, der den zitternden Norbert Lopper zur Seite nahm, damit er sich beruhige. Schor gelang es durch Intervention, Loppers Mutter zu retten. Ein SS-Mann, Richard Böck, holte Loppers Mutter nach der Selektion auf die Seite jener, die nicht sofort ermordet wurden. Regine Lopper überlebte.

Loppers erste Ehefrau Rebecca wurde im Oktober 1942 in der Gaskammer ermordet. Seine Schwägerin Sonja, die Schwiegereltern, sein Vater Leo Lopper und seine Schwester Klara wurden ebenfalls in Auschwitz ermordet. In Wien gründete Norbert Lopper eine neue Familie. Nahezu dreißig Jahre, von 1956 bis 1983, prägte Norbert Lopper den Wiener Fußballklub Austria als deren Klubsekretär. Nur wenige wussten von seinem tragischen und dramatischen Schicksal davor.

Literatur und Quellen

Norbert Lopper, Interview 37.062. Visual History Archive, USC Shoah Foundation. Transcript Freie Universität Berlin 2012: http://transcripts.vha.fu-berlin.de/interviews/695?locale=de&page=5&year_of_birth_from=1919&year_of_birth_to=1919 (23.11.2021).

Johann Skocek, Mister Austria. Das Leben des Klubsekretärs Norbert Lopper – Fußballer, KZ-Häftling, Weltbürger, Wien 2014.

Lebensgeschichte Norbert Lopper: https://www.nationalfonds.org/norbert-lopper.html (23.11.2021).