Marko M. Feingold

(Neusohl/Banská Bystrica, Slowakei 1913 – Salzburg 2019): Der erste Inhaftierte aus Österreich in Auschwitz

„Man hatte ein Gefühl der Nutzlosigkeit, der Wertlosigkeit, die ganze Menschlichkeit ging damit verloren“

Der slowakische Geburtsort war Zufall, hatte mit der Arbeit des Vaters Heinrich im Eisenbahnbau dort zu tun, denn eigentlich wuchs Marko Feingold mit seinen Geschwistern Ernst, Nathan und Rosa in Wien auf. Er war kein guter Schüler, begann mit 14 Jahren eine Lehre, arbeitete bis 1932 bei einer Pelzfirma. Schon mit 15 entdeckte er seine Liebe für das Kino und Tanzen. Galante Kleidung und elegantes Auftreten wurden trotz der materiell schwierigen Lage für den Heranwachsenden zum Markenzeichen. Um der Arbeitslosigkeit zu entgehen, begann er mit seinem Bruder, als Vertreter für flüssige Seife in Italien herumzureisen. „Man lebte von Tag zu Tag“ und hatte eigentlich keine Perspektive. Zum Zeitpunkt des „Anschlusses“ waren Marko Feingold und sein Bruder wegen der Verlängerung des Reisepasses in Wien. Sie flüchteten nach Prag, doch der Reisepass wurde ungültig, und die beiden gerieten deswegen in Schubhaft. Es gelang ihm und seinem Bruder, illegal die polnische Grenze zu überschreiten. Sie verschafften sich gefälschte Papiere, die sie als polnische Staatsbürger auswiesen, obwohl sie kaum Polnisch sprechen konnten. Mit diesen Papieren kehrten sie zurück nach Prag. Die Geschichte, die er über die folgenden Ereignisse erzählte, klingt unglaublich. Er traf einen Wiener Bekannten von der Arbeit in SS-Uniform, der zu Feingold sagte: „Wie kommst du daher?“ Der SS-Mann habe ihm und seinem Bruder einen Job besorgt: Sie sollten die Möbel von verlassenen Wohnungen inventarisieren. Er habe sich vorgestellt, dass die Deutschen eines Tages den geflohenen Jüdinnen und Juden den Betrag bezahlen würden, weswegen sie die Summe hoch beziffert hätten. Der Schwindel flog auf, und er wurde mit seinem Bruder verhaftet, es gab Prügel. Ende 1939 kamen sie in ein Gefängnis nach Krakau und am 5. April 1941 ins KZ Auschwitz. Auschwitz war zu diesem Zeitpunkt vor allem eine Internierungsstätte für Polen. Deswegen dürften Marko und sein Bruder Ernst – die aufgrund der gefälschten Papiere als Polen galten – die ersten Auschwitz-Häftlinge aus Österreich gewesen sein. Ihnen wurde anfangs alles abgenommen; ein Ring, den Marko Feingold nicht abnehmen konnte, wurde abgesägt.

Für jemand, der so viel Wert auf sein Äußeres legte, war das Aufnahme-Prozedere im KZ-Auschwitz zermürbend: „Inzwischen wurde es dunkel. Wir kamen weiter zu einem Duschraum. Davor war ein Raum, in dem einem ein Friseur den Kopf kahl scherte. Ratzekahl. Auch unter den Achseln. Überall. Geschlechtsteile. Überall, wo Haare sind. Man steht pudelnackt da, überall werden die Haare ausrasiert oder mit der Maschine ausgeschnitten. Das ist so demütigend, man kann es schwer erklären. An keiner Stelle störte es mich so sehr wie am Kopf. Mein Bruder und ich schauten uns an, beide hatten wir Tränen in den Augen, als wir uns mit der Glatze sahen. Das war einer der schrecklichsten Momente. Man hatte ein Gefühl der Nutzlosigkeit, der Wertlosigkeit, die ganze Menschlichkeit ging damit verloren.“ Er kam wie sein Bruder in die Strafkompanie: „Wir holten den Kies von der Kiesgrube, trugen ihn zur Baustelle, kippten den Kies dort aus und gingen wieder zurück. Das Ganze musste sehr schnell gehen. … Das Holz der Tragen war grob, kantig, aufgerissen, nicht gehobelt oder abgerundet. Nach einer Viertelstunde hatte ich nicht einfach Wasserblasen, sondern offenes Fleisch an beiden Händen. Ich hatte keine Kraft mehr, die Trage zu halten, sie rutschte mir aus den Fingern. Ich konnte sie einfach nicht mehr halten. So fing der erste Tag dort an.“ Es gab Prügel eines Vorarbeiters, aber ein Kapo kam Feingold zu Hilfe. Das war einer von vielen lebensrettenden Zufällen.

Der Mangel war Strategie, auch um die Häftlinge zu einem Überlebenskampf zu zwingen und sie von Solidarisierung abzuhalten. Marko Feingold beschrieb dies am Beispiel des Essens: „Dann gingen wir hinein, es gab Essen. Es herrschte ein Mangel an Schüsseln, und die, die das bereits wussten, gaben die Schüsseln nicht weiter. ‚Wenn du die Schüssel willst, musst du mir etwas vom Essen lassen.‘ Schon gab es Balgereien, Gedränge, Gestoße. Die Routinierten wussten sich zu helfen, arbeiteten zu zweit. Wenn jemand in einer Hand eine Schüssel und in der anderen ein Stück Brot hielt, kam einer von hinten, gab dem einen Stoß, dem fiel das Brot aus der Hand, der andere hob das Brot auf und war schon weg. Mit solchen Gaunereien wurde gearbeitet. Das waren alles Häftlinge. Es wird immer von der ‚schönen Kameradschaft im KZ‘ gesprochen, in Auschwitz sah ich keine Kameradschaft. Da war der Selbsterhaltungstrieb, wie bei Wölfen, die sich als einzige Tiere gegenseitig auffressen. In Auschwitz war jeder auf sich selbst gestellt. Jeder gegen jeden.“

Nach zwanzig Tagen wurde er mit seinem Bruder in das KZ Neuengamme verfrachtet. Die Hände waren von Auschwitz voller Wunden. Sein Bruder, der wichtig für das Überleben war, starb im Juni 1942 in der Tötungsanstalt Bernburg durch Vergasung. Davon erfuhr Feingold erst sehr spät in seinem Leben. Für Marko Feingold folgen noch die KZ Dachau und Buchenwald. Nach der Befreiung lebte Marko Feingold in Salzburg und wurde auch angesichts seines hohen Alters einer der wichtigsten Zeitzeugen. Der frühere Makartsteg trägt ab 2021 seinen Namen: Marko-Feingold-Steg.

Literatur

Marko M. Feingold, Wer einmal gestorben ist, dem tut nichts mehr weh. Eine Überlebensgeschichte, hrsg. von Birgit Kirchmayr und Albert Lichtblau. Neuauflage, Salzburg 2012.