Heinrich Sussmann

(Tarnopol 1904 – Wien 1986): Künstler im Widerstand

„Endsieger blieb dennoch ich“

Heinrich Sussmann wurde als Henryk Sussmann am 20. November 1904 in Tarnopol (heute Ternopil, Ukraine), einer jüdisch geprägten Stadt in der damaligen k.u.k. Kronkolonie Galizien, in eine orthodoxe jüdische Familie geboren. Seine ersten Schuljahre verbrachte er daher im traditionell jüdischen Cheder. Nachdem seine Familie im Ersten Weltkrieg nach Wien geflohen war, nahm seine Schulbildung einen anderen Weg. Er besuchte ab 1914 das Gymnasium und studierte 1925/26 in Paris bzw. 1927/28 an der Kunstgewerbeschule in Wien (heute Universität für angewandte Kunst) Innenarchitektur und Bühnenbildgestaltung – und er war politisch tätig in der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP) und später für die Kommunisten. Ab 1929 arbeitete er als Bühnenbildner bei Universum Film in Berlin sowie als Grafiker und Karikaturist für den Berliner Uhlstein-Verlag.

1933 flüchtete Heinrich Sussmann über Wien nach Paris, wo er 1937 seine Jugendfreundin Anna Goldscheider heiratete. Bis 1939 lebte das Ehepaar in Paris, Heinrich Sussmann konnte weiter als Bühnenbildner, Gebrauchsgrafiker und Innenarchitekt arbeiten. Gleichzeitig engagierte er sich in der Auslandsorganisation der KPÖ, wie etwa auch Alfred Klahr, für dessen 1937 in Paris veröffentlichtes Werk „Nationale Frage“ er den Umschlag gestaltete. Nach dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich gründete Sussmann gemeinsam mit einigen Exilösterreicher*innen den „Cercle Culturel Autrichien“, der Kulturarbeit für österreichische Exilant*innen leistete. 1939 folgte seine Internierung als „feindlicher Ausländer“, zunächst im Pariser Sammellager Stade de Colombes, dann im Lager Meslay-du-Maine.

Ende April meldete sich Sussmann zum militärischen Arbeitsdienst, nach der Kapitulation Frankreichs flüchtete er mit seiner Frau in die unbesetzte Zone. In Südfrankreich war das Ehepaar gemeinsam in der Résistance aktiv. 1942 siedelten sie trotz Gefährdung nach Paris, wo sie am 1. Juni 1944 verhaftet wurden. Ende Juli 1944 wurden beide schließlich von Drancy in das KZ Auschwitz deportiert.

Heinrich Sussmann hatte Glück in Auschwitz: Er traf mit Hermann Langbein und Heinrich Dürmayer nicht nur alte politische Weggefährten, sondern auch einflussreiche Persönlichkeiten im Lager. Ihnen verdankte er sein Überleben. Statt nach Birkenau zu kommen, blieb Sussmann während seiner gesamten Lagerzeit im Block 18 des Stammlagers. Auf Intervention Dürmayers wurde er zum Arbeitskommando in die Schreibstube abgestellt, wo er Glückwunschkarten der SS zu illustrieren hatte. In Auschwitz schloss sich Sussmann auch dem Lagerwiderstand an und half mit, Informationen über die Gräuel des Konzentrationslagers nach außen zu schmuggeln.

Heinrich Sussmann erlebte die Befreiung von Auschwitz am 27. Jänner 1945 versteckt in einem Kohlenkeller des Stammlagers. Mithäftlinge hatten ihn und weitere Insassen, die zu schwach für den Todesmarsch aus dem Lager waren, dort versteckt, um die Ankunft der Roten Armee abzuwarten. Bis Februar 1945 blieb Sussmann im befreiten KZ Auschwitz und half mit, Dokumente der Verbrechen zu bewahren. Danach kehrte er nach Wien zurück.

In der Nachkriegszeit engagierte er sich gemeinsam mit seiner Frau Anni für die Aufklärung über die Verbrechen des Nationalsozialismus. Heinrich Sussmann beteiligte sich etwa 1946 an der Ausstellung „Niemals Vergessen“, die im Wiener Künstlerhaus gezeigt wurde und für die er auch das Plakat entwarf. 1978 schuf er die Glasfenster für die erste österreichische Ausstellung in der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau, die auch in der neuen Ausstellung im Gedenkbereich zu sehen sind. Heinrich Sussmann ist am 12. Dezember 1986 in Wien verstorben. 1989 wurde die Anni und Heinrich Sussmann Foundation gegründet, die das politische und künstlerische Engagement Sussmanns weiterführt.

Literatur und Quellen

Ö1, Im Journal zu Gast: Auschwitz-Überlebende Ehepaar Sussmann (09.02.1985), Österreichische Mediathek, jm-850209_k02.

Heinrich Sussmann, Ich erinnere mich wieder an Auschwitz, Wien 1963.

Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes: Nachlass Heinrich Sussmann (DÖW 21349/1-189).

Jüdisches Museum Wien: Sammlung Sussmann, Künstlerischer Teilnachlass.

Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, Heinrich Sussmann: Meslay 1940: https://www.doew.at/erinnern/fotos-und-dokumente/1938-1945/frankreich-1940-zwei-fotoalben/heinrich-sussmann-meslay-1940 (17.12.2021).

Sophie Lillie, Arye Wachsmuth, Im Schatten der Veränderung. In: Dispossession. Ausstellungskatalog, Künstlerhaus Wien 2021, S. 104–115, hier S. 108–110.

Peter Michel, Ankunft in der Freiheit. Essays gegen den Werteverlust der Zeit, Berlin 2011, S. 129 ff.