Günther Niethammer

(Waldheim, Deutsches Reich 1908 – Morenhoven, BRD 1974): Der Vogelkundler in Auschwitz

„Beobachtungen über die Vogelwelt in Auschwitz“

Günther Niethammer, 01.01.1948
Fotograf unbekannt / Public domain

Günther Niethammer wurde am 28. September 1908 in Sachsen in ein großbürgerliches Elternhaus hineingeboren. 1927–1933 studierte er Zoologie in Tübingen und Leipzig und spezialisierte sich im Bereich der Ornithologie (Vogelkunde). 1937 trat Niethammer der NSDAP bei und wurde Kurator am Zoologischen Forschungsmuseum Alexander König in Bonn. Gleichzeitig wurde er von seinem Lehrer Erwin Stresemann mit der Erstellung eines „Handbuches der deutschen Vogelkunde“ betraut. Dieses dreibändige Werk, das bis heute als eines der Standardwerke der deutschen Vogelkunde gilt, veröffentlichte Niethammer in den Jahren 1937–1942.

Niethammer profitierte von seinem Netzwerk, das aus bedeutenden Ornithologen bestand, die sich mit dem Nationalsozialismus arrangiert hatten bzw. selbst Nationalsozialisten waren. Neben Stresemann war dies vor allem Hans Kummerlöwe, der mit Niethammer bereits 1933 ornithologische Reisen in die Türkei unternommen hatte. Dass Günter Niethammer 1940 als Kustos der Vogelsammlung des Naturhistorischen Museums in Wien berufen wurde, hatte er Hans Kummerlöwe zu verdanken. Für Niethammer sollte Wien jedoch nur eine Zwischenstation sein, er sah seine Chancen als Wissenschaftler im Krieg vor allem in der Möglichkeit zu ausgedehnten Expeditionen.

Nachdem er bei der Luftwaffe wegen zu hohen Alters abgelehnt worden war, trat Niethammer der Waffen-SS bei und meldete sich im Oktober 1940 freiwillig zum Wachdienst in das Konzentrationslager Auschwitz. Sein Einsatz dort als Wachmann blieb auf eine relativ kurze Zeit beschränkt, denn er erwirkte bereits im März 1941 vom Lagerkommandanten Rudolf Höß eine Erlaubnis zur Durchführung von ornithologischen Untersuchungen in der Umgebung des Lagers.

Neben der Beobachtung von Vögeln, die er schoss und präparierte (oder präparieren ließ), nutzte er die Gelegenheit, für die SS Wild zu schießen und sich dadurch etwas zusätzlich zu verdienen. Im Mai 1942 erschien sein Aufsatz „Beobachtungen über die Vogelwelt in Auschwitz“ in den Annalen des Naturhistorischen Museums Wien. Die von Niethammer präparierten Bälge waren sowohl für eine geplante naturkundliche Abteilung für das Museum der SS im Stammlager Auschwitz I bestimmt, wurden aber auch ins Naturhistorische Museum in Wien geschickt. Bis Oktober 1942 blieb Niethammer in Auschwitz, unterbrochen allerdings durch eine längere Forschungsreise, die er mit der Abteilung Wissenschaft des Oberkommandos der Wehrmacht in das von den Deutschen besetzte Griechenland unternahm.

Nach einem weiteren kurzen Aufenthalt in Auschwitz zwischen September und Oktober 1942 wurde Niethammer schließlich abberufen und in das SS-Sonderkommando „K“ unter Ernst Schäfer versetzt, der als führendes Mitglied der Forschungsgemeinschaft Deutsches Ahnenerbe Expeditionen durchführte. Weitere Expeditionen brachten ihm nicht nur Aufenthalte auf Kreta und in Spanien, sondern auch einige wissenschaftliche Publikationen ein. 1944 wurde Niethammer schließlich nach der Auflösung des Sonderkommandos als Zoologe zum Hygiene-Institut der Waffen-SS in Berlin überstellt; weitere Expeditionen nach Bulgarien und Triest folgten.

Nach Kriegsende tauchte Niethammer unter und arbeitete in wechselnden Berufen, bald jedoch plante er seine „Rückführung in die rein zoologische Branche“, wie er dem Verwalter des Museums Alexander König schriftlich mitteilte. Dieser hatte Kontakt mit den britischen Militärbehörden aufgenommen, eine freiwillige Auslieferung Niethammers war für seine weitere Karriere unabdingbar. Anfang Februar 1946 stellte sich Niethammer der Field Security Section in Bonn, wurde in Folge nach Polen ausgeliefert und im Krakauer Auschwitz-Prozess zu acht Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Nach einer Revision im Herbst 1948 wurde die Haftstrafe auf drei Jahre (unter Anrechnung der Untersuchungshaft) verkürzt. 1949 aus Polen ausgewiesen, nahm Niethammer 1950 seine frühere Arbeit als Kurator am Museum König in Bonn wieder auf, wo er sein restliches Berufsleben blieb. Für seinen Prozess in Krakau hatten ihm zahlreiche Wissenschaftler so genannte Persilscheine ausgestellt, so auch der Agrarwissenschaftler und Genetiker Hans Stubbe, der nach dem Krieg in der DDR lebte. Niethammer starb am 14. Jänner 1974 in der BRD.

Literatur

Norbert Frei u. a. (Hrsg.), Standort- und Kommandanturbefehle des Konzentrationslagers Auschwitz 1940–1945, München 2000, S. 45 (Freistellung für Günther Niethammer).

Leumundszeugnis von Hans Stubbe für Günther Niethammer, 3.3.1947 (Abschrift), Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, NL H Stubbe, Korr., Nr. 146 (Persilschein Hans Stubbe).

Günther Niethammer, Beobachtungen über die Vogelwelt von Auschwitz (Ost-Oberschlesien). In: Annalen des Naturhistorischen Museums in Wien, 52 (1941, hrsg. Mai 1942), S. 164–199: https://www.zobodat.at/pdf/ANNA_52_0164-0199.pdf (17.12.2021).

Hans Kumerloeve, Günther Niethammer, dem Freunde und Kollegen, zum Gedächtnis. In: Bonner Zoologische Beiträge, Heft 1—3, 25 (1974), S. 17–22.

Ernst Klee, Auschwitz. Täter, Gehilfen, Opfer und was aus ihnen wurde. Frankfurt am Main 2013, S. 300.

Eugeniusz Nowak, Wissenschaftler in turbulenten Zeiten. Erinnerungen an Ornithologen, Naturschützer und andere Naturkundler, Hohenwarsleben 2010 (= Die neue Brehm-Bücherei, Bd. 676), S. 69 ff.

Eugeniusz Nowak, Erinnerungen an Ornithologen, die ich kannte. In: Journal für Ornithologie 139 (1998), S. 325–348, hier S. 338 f (= Vortrag vor der 130. DO-G-Jahresversammlung in Neubrandenburg am 28. September 1997): https://vdocuments.mx/reader/full/erinnerungen-an-ornithologen-die-ich-kannte (17.12.2021).

Swen Steinberg, „Birding im KZ“. Biografie, Netzwerke und Deutungen des Ornithologen und SS-Obersturmführers Günther Niethammer. In: Die SS nach 1945. Entschuldungsnarrative, populäre Mythen, europäische Erinnerungsdiskurse, hrsg. v. M. Wildt, J.E. Schulte, Göttingen 2018, S. 215–252.