Fritz Ertl

(Breitbrunn 1908 – Linz 1982): Stellvertretender Leiter der Zentralbauleitung der Waffen-SS und Polizei in Auschwitz

Der Bauhausarchitekt plant ein KZ

Die Vernichtungslager des Nationalsozialismus mussten geplant und gebaut werden. Dazu benötigte das verbrecherische Regime Experten, die dafür sorgten, das Genozidprogramm realisieren zu können. In Auschwitz war dies von Beginn an die SS-Neubauabteilung, im Oktober 1941 kam die SS-Sonderbauleitung dazu, und beide wurden noch im selben Monat zur Zentralbauleitung der Waffen-SS und Polizei zusammengelegt.

Manche Wege nach Auschwitz waren aufseiten der Täter keineswegs vorgezeichnet. Hätten die Betroffenen in einer anderen Zeit gelebt, hätten sie eventuell einen wichtigen Beitrag für die Gesellschaft leisten können. Fritz Ertl war ein talentierter Architekt, der sich durch seine Ausbildung am Bauhaus in Dessau der architektonischen Moderne verschrieben und bereits erste Projekte in diesem Sinne realisiert hatte. Moderne und Nationalsozialismus waren kein Gegensatz, im Gegenteil. Bauhaus-Architekt Fritz Ertl ist dafür ein Beleg.

Der Vater von Fritz Ertl war Baumeister. Nach seinem Studium trat der Sohn in die Firma des Vaters ein. Offensichtlich gehörte er bereits der seit 1933 verbotenen österreichischen NSDAP an, sein Eintritt in die Partei wurde mit 1. Mai 1938 datiert, so wie es für andere Illegale üblich war. Noch im selben Jahr trat er der SS bei und wurde 1939 zum Dienst in der Waffen-SS nach Krakau eingezogen. Ertl war beim Aufbau des Konzentrationslagers Auschwitz von Beginn an dabei, nämlich ab Ende Mai 1940. Er arbeitete dort bis Jänner 1943. Ertl fungierte als Leiter der Technischen Abteilung, später als Abteilungsleiter für Hochbau und wurde schließlich stellvertretender Leiter der Zentralbauleitung. Innerhalb der SS macht er ebenfalls Karriere und war zuletzt SS-Untersturmführer.

Von Oktober 1941 bis Sommer 1944 arbeiteten mehr als 180 Personen in der Zentralbauleitung, befehligt von mehr als 20 Führungskräften der SS. Für die Zentralbauleitung arbeiteten ca. 8.000 Häftlinge und 1.000 Zivilarbeiter, ca. 100 inhaftierte polnische Architekten mussten Zwangsarbeit verrichten.

Viele Baupläne tragen auch die Unterschrift von Fritz Ertl, darunter der erste Plan des neu geplanten Lagers Birkenau, das zu diesem Zeitpunkt noch als Kriegsgefangenenlager für Angehörige der Roten Armee gedacht war. Als stellvertretender Leiter der Zentralbauleitung leitete Ertl am 19. August 1942 eine Besprechung zur Planung weiterer Krematorien. Das Protokoll ist ein Schlüsseldokument, da dort erstmals nachweislich die betroffenen Firmen in den Plan zur Ermordung durch Gas eingeweiht wurden. In der Tarnsprache wurden die Gaskammern als „Badeanstalten für Sonderaktionen“ bezeichnet. An der Besprechung nahm auch der Salzburger Josef Janisch teil, der später als Bauleiter von Birkenau die „Sonderbaumaßnahmen“, sprich den Bau der neuen Krematorien mit den Gaskammern vor Ort beaufsichtigte.

Ertl behauptete nach Kriegsende, dass er sich freiwillig an die Front gemeldet habe, da er gesehen habe, wie sich „der Lagerbetrieb entwickelte“. Der Überlebende Hermann Langbein und Initiator des österreichischen Auschwitz-Prozesses glaubte ihm. Ob es tatsächlich so war, bleibt Spekulation. Nach Kriegsende geriet Ertl in Kriegsgefangenschaft in Österreich, ab August 1946 arbeitete er wieder im Familienbetrieb. Beim Prozess gegen ihn und den Tiroler Architekten Walter Dejaco versuchte Ertl, seine Rolle bei der Zentralbauleitung herunterzuspielen. Damals lagen noch viele Akten der Zentralbauleitung unzugänglich im Sonderarchiv Moskau. Der Prozess endete am 10. März 1972 mit einem Freispruch der beiden Angeklagten. Das war typisch für derartige Prozesse in Österreich, da Geschworene und nicht juristisch Ausgebildete das Urteil fällten.

Literatur

Gideon Greif, Peter Siebers, Todesfabrik – Death Factory – Fabryka Šmierci Auschwitz. Topographie und Alltag in einem Konzentrations- und Vernichtungslager / Topografia I Życie Codzienne W Obozie Koncentracyjnym I Zagłady / Topography and Everyday Life in a Concentration and Extermination Camp, Köln 2016. Vgl. auch Tim Cole, Holocaust Landscapes, London-Oxford-New York-New Delhi-Sydney 2016.

Adina Seeger, Vom Bauhaus nach Auschwitz. Fritz Ertl (1908 bis 1982). Bauhausschüler in Dessau, Mitarbeiter der Auschwitzer Bauleitungen, Angeklagter im Wiener Auschwitzprozess – Stationen und Kontexte eines Werdegangs zwischen Moderne und Nationalsozialismus. Diplomarbeit, Wien 2013.

Adina Seeger, Architekt von Auschwitz-Birkenau, Angeklagter im Wiener Auschwitz-Prozess. Fritz Ertl – Werdegang eines NS-Täters. In: zeitgeschichte, Jg. 42 (2015), Heft 2, 84–99.