Dagmar Ostermann

(Wien 1920 – Wien 2010): Die Gerechtigkeitsfanatikerin

„Geltungsjüdin“ als Schreiberin am Standesamt des „Stammlagers“ Auschwitz I

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Dagmar Ostermann, 1937/38. Die gebürtige Wienerin Dagmar Ostermann geb. Bock wurde im August 1942 als "Mischling 1. Grades" verhaftet. Sie überlebte die KZ Auschwitz und Ravensbrück.
DÖW / Foto 8965

Vielen ÖsterreicherInnen ist Dagmar Ostermann ein Begriff: Die Überlebende der KZ Ravensbrück und Auschwitz besuchte als Zeitzeugin hunderte Schulklassen und begleitete Gruppen bei ihrem Besuch der Gedenkstätte in Oświęcim. Ostermann, die seit ihrer Rückkehr aus Auschwitz im Mai 1945 wieder in Wien lebte, sich aber erst im Zuge der so genannten Waldheim-Affäre dazu entschloss, in der Öffentlichkeit über ihre Vergangenheit zu sprechen, ist vielen als kundige, humorvolle und resolute Zeitzeugin in Erinnerung geblieben. „Eine Lebensreise durch Konzentrationslager“ heißen ihre von Martin Krist aus vielen Interviews zusammengestellten Lebenserinnerungen, die 2005 als Buch erschienen. Sie war Generalsekretärin und schließlich Ehrenpräsidentin der Österreichischen Lagergemeinschaft Auschwitz.

Dagmar Ostermann wurde als Dagmar Bock am 6. Dezember 1920 in Wien geboren. Ihr Vater war Beamter bei der österreichischen Eisenbahn, ihre Mutter eine aus Dresden stammende Krankenschwester, die für die Heirat zum Judentum konvertierte. Die Ehe scheiterte, die Jugendliche wuchs zerrissen zwischen Vater und Mutter heran. Nach dem „Anschluss“ im März 1938 flüchtete sie als Soldat verkleidet vor den Pogromen in Wien zu Verwandten nach Dresden.

Nach den Nürnberger Gesetzen war Dagmar Bock als „Mischling 1. Grades“, wegen ihres Religionsbekenntnisses jedoch als „Geltungsjüdin“ eingestuft. Im August 1942 bekam sie eine Vorladung zur Gestapo. Dort wurde sie festgenommen und über Ravensbrück nach Auschwitz deportiert. Durch Zufall hatte sie das Glück, im „Stammlager“ als Schreiberin des Standesamts eingesetzt zu werden, was ihre Chance zu überleben stark erhöhte. Es gelang ihr, Kontakt zu ihrem Vater zu bekommen, der ebenfalls nach Auschwitz deportiert worden war, es war ihr aber versagt, ihn jemals zu sehen. Noch vor ihrer Deportation zurück nach Ravensbrück im November 1944 erfuhr sie, dass ihr Vater in der Gaskammer ermordet worden war. Im Mai 1945 wurde sie in Ravensbrück von Soldaten der US-Armee befreit und kehrte zu Fuß nach Wien zurück.

Dagmar Ostermann begriff ihren unermüdlichen Einsatz als Zeitzeugin nicht nur als Beschäftigung mit ihrem eigenen Schicksal, im Gegenteil. So erklärte sie sich 1988 sogar dazu bereit, am Dokumentarfilm „Unheimliche Begegnung“ des Regisseurs Bernhard Frankfurter mitzuwirken, für den sie drei Tage lang ein Gespräch mit dem ehemaligen SS-Arzt Hans Münch führte.

In einem Interview für ihre Lebenserinnerungen meinte sie: „Seit 1985 gehe ich als Zeitzeugin in Schulen. Meine ganze noch verbliebene Kraft lege ich in diese Vorträge, die sich nicht nur mit meinem Schicksal beschäftigen, sondern auch eine Warnung und Aufklärung vor dem zunehmenden Fremdenhass und Rassismus in Österreich sein sollen. Für mich war und ist es eine Selbstverständlichkeit, über mein Erleben in Auschwitz zu sprechen. An manchen Tagen ist es eine Erleichterung, manchmal tut es aber weh. Es gibt natürlich Punkte, die mich besonders berühren, wie etwa die Ermordung meines Vaters als 59-Jähriger in den Gaskammern von Auschwitz-Birkenau. Ich war immer eine Gerechtigkeitsfanatikerin, Vorurteile sind mir zutiefst zuwider, mich interessiert keine Hautfarbe, keine Religion oder sexuelle Orientierung, für mich ist der Mensch maßgeblich, sonst nichts! Und das versuche ich den jungen Menschen in den Schulen zu vermitteln. An manchen Tagen verarbeite ich Auschwitz ganz gut, dann gibt es Tage, da denke ich voll Trauer, und Tage, da denke ich voll Grauen an diese Zeit zurück. Ein solches Lager war ein so einschneidendes Erlebnis in einem Menschenleben, dass man es unmöglich aus einem Leben wegdenken kann. Das bleibt bis zum letzten Atemzug!“

Am 28. Dezember 2010 verstarb Dagmar Ostermann in Wien.

Literatur

Dagmar Ostermann, Eine Lebensreise durch Konzentrationslager, hrsg. von Martin Krist, Wien 2005.

Österreichische Lagergemeinschaft Auschwitz, auschwitz information, 83. Ausgabe, März 2011 (Sonderausgabe für Dagmar Ostermann).

Bernhard Frankfurter, Die Begegnung. Auschwitz – Ein Opfer und ein Täter im Gespräch, Wien 1995.