Berthold Storfer

(Cernowitz 1880 –Auschwitz 1944): Der jüdische Judenretter

Besuch von Adolf Eichmann in Auschwitz

Berthold Storfer
Privatarchiv

Manche KZ-Geschichten wirken so grotesk, dass sie nahezu unglaubwürdig klingen – dies ist eine von ihnen. Einer der Hauptorganisatoren von Deportationen der europäischen Jüdinnen und Juden in die Vernichtungsstätten, Adolf Eichmann, besuchte den jüdischen Häftling Berthold Storfer im KZ Auschwitz. Die beiden kannten sich aus der Wiener Zeit Eichmanns, als dieser die Zentralstelle für jüdische Auswanderung aufbaute, um die Vertreibung zu organisieren. Storfer bot schon zu Beginn der NS-Zeit der SS seine Dienste an, die Flucht – soll heißen: Vertreibung – der Jüdinnen und Juden zu unterstützen. Der vormalige Spitzenmanager fand offensichtlich auch wegen seiner Osteuropa-Kenntnisse Gehör bei der SS, und der von ihm betriebene „Ausschuss für jüdische Überseetransporte“ wurde zu einer Triebfeder für die Planung der Palästina-Transporte, der vorwiegend illegalen Flucht in das von Großbritannien kontrollierte Palästina. In dem in Israel 1961 durchgeführten Prozess gegen Adolf Eichmann behauptete dieser, er habe sich Storfer in Auschwitz holen lassen. „Ja, mein lieber guter Storfer, was haben wir denn da für ein Pech gehabt?“ Gemeint war, dass Storfer in Wien im Jahr 1943 aus Angst vor der Deportation vergeblich untergetaucht war – laut Eichmann eine „Dummheit“. Hanna Arendt beobachtete den Prozess gegen Eichmann, in dem diese Aussage fiel. In ihrem Buch „Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen“ fragte Arendt angesichts der Aussagen zu Storfer, ob es sich bei Eichmann um einen klassischen Fall pathologischer Verlogenheit gepaart mit abgründiger Dummheit oder um gewöhnliche verbrecherische Verstocktheit handelte.

Die Historikerin Gabriele Anderl geht davon aus, dass Storfer die Rettung von 9.096 Jüdinnen und Juden ermöglichte. Im Februar 1939 erhielt er von Eichmann den Auftrag, die illegalen Transporte nach Palästina zu organisieren, im März 1940 ermächtigte ihn die SS, auch für das so genannte Altreich und das „Protektorat Böhmen und Mähren“ zuständig zu sein. Damit wurde er auf jüdischer Seite zur Schlüsselperson für diese Fluchtroute. In dieser Rolle war er nicht unumstritten, da zionistische Organisationen sich ebenfalls um die legalen und illegalen Transporte nach Palästina kümmerten und bei der Auswahl der Personen von ihrer politischen Ausrichtung her motiviert waren, also junge, gesunde, zionistisch orientierte Personen bevorzugten. Die Organisation der Transporte war aufwendig und nervenaufreibend angesichts des laufenden Krieges. Es ging um das heikle Thema der Auswahl von Menschen für die Flucht, die Beschaffung von Devisen und Schiffen, die Versorgung der Flüchtenden und vieles mehr. Hinzu kam das Problem der illegalen Einwanderung. Im Oktober 1940 verließen drei Schiffe mit Flüchtlingen den rumänischen Donauhafen Tulcea. In Palästina griffen die britischen Behörden die Flüchtlinge auf und wollten sie an der illegalen Immigration hindern. Die Briten verfrachteten die Flüchtlinge auf ein Schiff namens Patria, um sie nach Mauritius abzuschieben. Als Passagiere vom letzten der drei Schiffe transferiert wurden, kam es am 25. November 1940 zu einer Explosion. Der von der bewaffneten zionistischen Untergrundorganisation Haganah ausgeführte Anschlag brachte das Schiff unbeabsichtigter Weise innerhalb kurzer Zeit zum Sinken, 267 Personen kamen dabei ums Leben. Alle Geretteten durften daraufhin in Palästina bleiben; die Personen, die noch am dritten Schiff waren, wurden auf Mauritius interniert.

Eichmann behauptete im Prozess, dass Storfer ihn bei der Begegnung in Auschwitz gebeten habe, nicht arbeiten zu müssen, was der Kommandant von Auschwitz, Rudolf Höß, ablehnte. Er, Eichmann, hätte aber für eine leichtere Arbeit sorgen können. Die Formulierung „mein lieber guter Storfer“ ist entlarvend für die vorgegaukelte Höflichkeit des SS-Mannes Eichmann. Ob die Worte je so gefallen sind, sei dahingestellt. Storfer war wenige Wochen nach Eichmanns Besuch tot. Als Geheimnisträger hatte er ohnedies kaum eine Chance zu überleben.

Literatur

Gabriele Anderl, 9096 Leben. Der unbekannte Judenretter Berthold Storfer, Berlin 2012.