Adele, Bruno und Gisela Kurzweil

(Graz 1925; Josefstadt/Josefov Böhmen 1891; Oderburg/Bohumin, Böhmen 1900 – Auschwitz-Birkenau 1942): Familie jüdischer Herkunft aus Graz

Auf der Flucht in die Falle geraten: Frankreich

Bruno Kurzweil war in Graz als sozialdemokratischer Anwalt bekannt und damit im Austrofaschismus und auch im Nationalsozialismus schon aufgrund der politischen Orientierung gefährdet. In der NS-Zeit kam hinzu, dass ihn, seine Ehefrau Gisela und seine Tochter Adele die jüdische Herkunft einholte, obwohl niemand von ihnen der jüdischen Religionsgemeinschaft angehörte. Für die NS-Politik spielte das keine Rolle: Sie wurden als Juden klassifiziert. Im Oktober 1938 flohen sie über die Schweiz nach Paris. Bruno Kurzweil engagierte sich in der österreichischen sozialdemokratischen Exilorganisation. Nach Kriegsbeginn im September 1939 wurde Bruno Kurzweil wie tausende andere Männer aus dem Deutschen Reich als „feindlicher Ausländer“ interniert und kam erst im Februar 1940 frei. Aufgrund des Kriegsverlaufs beschlossen die österreichischen Sozialdemokraten, nach Montauban in den Süden Frankreichs auszuweichen. Von dort aus gelang es fast allen, vor allem mit US-amerikanischer Hilfe, sich rechtzeitig in Sicherheit zu bringen. Bruno Kurzweil half bei den Fluchtvorbereitungen, so gut es ging. Aber seine Familie schaffte es nicht zu flüchten. Die Regierung des nicht von den Deutschen besetzten Vichy-Frankreich kollaborierte mit dem NS-Staat. Wie viele andere auch wurden die Kurzweils bei einer Razzia verhaftet, interniert und über das Sammellager Drancy schließlich am 9. September 1942 nach Auschwitz-Birkenau deportiert und dort ermordet.

Was diese Geschichte außergewöhnlich macht, ist der Fund des Gepäcks der Familie in der Polizeistation von Auvillar, dem Ort, an dem die Familie verhaftet worden war. Bis 1990 lagerte es dort unbeachtet. Während von vielen Ermordeten nicht einmal Erinnerungen an sie oder gar ein Bild zurückblieben, geben diese Koffer Einblicke in das Leben einer einst bürgerlichen Familie und ihrer Flucht. Es ist herzzerreißend anzusehen, wie viel Hoffnung, Kreativität, Liebe, Energie und Verzweiflung mit den Objekten, Fotografien, Zeichnungen oder Briefen aus dem Leben der ermordeten Familie Kurzweil zurückblieben. Adele notierte beispielsweise auf einem Zettel: „Bestimmte Musikstücke wirken auf mich wie ein schönes Buch, sie tragen mich an ferne Orte oder in die Vergangenheit.“

In einem Brief schrieb Bruno Kurzweil im April 1940 an seine offensichtlich unglückliche 15-jährige Tochter, die damals in einem Heim für Flüchtlingskinder war: „Man darf auch nicht Vergangenes mit der Gegenwart vergleichen, wie Du es getan hast, wenn Du sagtest ‚Jetzt weiß ich erst, was ich früher gehabt habe.‘“ Er versuchte, ihr Mut zu machen, es werde ein von Hitler befreites Österreich geben und viele Aufgaben werden dann auf politisch unbelastete junge Menschen wie sie warten. „Denk einmal darüber nach, und Du wirst die Schmerzen, die Du manchmal so groß empfindest, dass Du sie nicht tragen zu können glaubst, als klein, vorübergehend und nichtig ansehen müssen. Schön war manches in der Vergangenheit, um wie viel herrlicher aber kann Deine Zukunft werden, und was dazwischen liegt, der jetzige Zustand, ist ja nur eine Übergangszeit.“ Wie bitter, dass Bruno Kurzweil mit seiner Familie diese Zukunft nicht erleben durfte.

 

Literatur

Pascal Caïla, Bruno, Gisèle et Adèle Kurzweil, Itinéraine d'une famille autrichienne juive 1938–1942, Montauban 1996.

Christian Ehetreiber, Heimo Halbrainer, Bettina Ramp, ARGE Jugend gegen Gewalt und Rassismus, Der Koffer der Adele Kurzweil. Auf den Spuren einer Grazer jüdischen Familie in der Emigration, Graz 2001.