Paul Grünberg

(Wien 1923 – Wien 2018): Von rassenkundlichen Vermessungen im Wiener Stadion über Buchenwald nach Auschwitz

„Die haben uns behandelt wie Gegenstände“

Paul Grünberg wurde am 24. Jänner 1923 als einziges Kind von Oskar und Else (geb. Wolf) Grünberg in relativ einfache Verhältnisse geboren. Seine Mutter war Schneidermeisterin, der Vater Kürschner. Die Familie stammte aus dem ehemaligen Galizien. Mit 14 Jahren begann Grünberg eine Schneiderlehre, die er nie beenden konnte: Nach dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich emigrierte sein Meister in die Schweiz, im Zuge der Novemberpogrome wurde sein Vater verhaftet und nach Dachau verschleppt. Nicht einmal ein Jahr später, im September 1939, wurde Oskar Grünberg ein weiteres Mal durch die Gestapo inhaftiert, der 16-jährige Paul wurde bei dieser Gelegenheit „mitgenommen“.

Vater und Sohn kamen zunächst ins Polizei-Gefängnis an der Rossauer Lände, wo sie gefoltert und anschließend gemeinsam mit rund 1.000 weiteren Juden ins Wiener Stadion verbracht wurden. Im Stadion wurden sie von Anthropologen des Naturhistorischen Museums Wien „rassenkundlich“ untersucht und vermessen. Außerdem wurden von ihren Gesichtern Gipsmasken abgenommen sowie Haarproben gesammelt: „Es wurden Gipsabdrücke gemacht, sie haben das Gesicht vermessen, meine Augen, meine Nase, Mund, Ohren. Die haben uns behandelt wie Gegenstände.“ Im Anschluss wurden alle in das KZ Buchenwald deportiert, so auch Paul Grünberg und sein Vater.

In Buchenwald mussten Oskar und Paul Grünberg im Steinbruch arbeiten. Oskar Grünberg verstarb wenig später (1940) im Krankenrevier, Paul wurde auf Intervention eines Freundes in die Gärtnerei versetzt:

„Und dann sind Transporte nach Auschwitz zusammengestellt und selektiert worden. Und wir wussten, dass in Auschwitz, wir wussten, dass Auschwitz das Ende war. (...) Und da sind meine ganzen Freunde, die ganzen Freunde sind dabei gewesen. Und es waren nur zwei Jungen, das war der Fritz Kleinmann, dessen Vater auch dabei war, und ich war dabei. (...) Also, der Fritz Kleinmann und ich waren dann die einzigen Jugendlichen, die in Buchenwald hätten bleiben können, sich aber freiwillig gemeldet haben, mit dem ganzen Transport nach Auschwitz gegangen sind. Obwohl wir gewusst haben, dass [es] dort aus ist.“

Im Oktober 1942 wurde Paul Grünberg nach Auschwitz deportiert, wo er im neu errichteten Außenlager Auschwitz-Monowitz in den Buna-Werken Zwangsarbeit leisten musste. Aufgrund seiner schönen Handschrift und weil er vorgab, Buchhalter zu sein, konnte er in der Schreibstube unterkommen und so die Chancen für sein Überleben wesentlich erhöhen. Im Sommer 1944 wurde er in die Schreibstube des berüchtigten Außenlagers Neu-Dachs (Jaworzno), einer Kohlengrube, versetzt.

Mit dem Herankommen der Roten Armee im Jänner 1945 wurden Auschwitz und seine Außenlager evakuiert. Mit anderen Häftlingen wurde auch Paul Grünberg auf den Todesmarsch getrieben, der jedoch in keinem weiteren Lager ankommen sollte. Im Mai 1945 ließ die SS die Überlebenden des Todesmarsches in einem Wald in Tschechien zurück. Grünberg gelang es, sich mit einem Freund in einem Bauernhaus in Reichenberg (Liberec) zu verstecken, bis sie von der Roten Armee entdeckt und befreit wurden.

Nach 1945 kehrte Paul Grünberg als einziger Überlebender seiner Familie nach Wien zurück. „Mit Lastzügen brachten sie uns dann zurück. Dort habe ich niemand gefunden. Meine ganze Familie war weg. Niemand war mehr da.“ Über Vermittlung eines Mithäftlings konnte er in einem Verlagshaus zu arbeiten beginnen, was er bis zu seiner Pensionierung machte. Bis zu seinem Tod am 8. April 2018 engagierte er sich als Zeitzeuge in Wien.

 

Literatur

Interview mit Paul Grünberg (2014). Vollversion: https://www.weitererzaehlen.at/interviews/paul-gruenberg (17.12.2021); Zusammenschnitte: https://www.ueber-leben.at/home/paul-gruenberg (17.12.2021); Transkript: https://www.ueber-leben.at/downloads/transkript-ueberleben-im-kz (17.12.2021).

„Es war der Anfang einer sehr schiachen Zeit“. Interview mit Paul Gruenberg (2014): https://nunu.at/artikel/es-war-der-anfang-einer-sehr-schiachen-zeit-paul-gruenberg/ (17.12.2021).

Erinnerungen eines Überlebenden. ORF-Sendung zu 70 Jahre Befreiung Konzentrationslager Auschwitz. Gestaltung: Herbert Waibel (27.01.2015): https://tvthek.orf.at/history/Nachkriegszeit/9501723/Erinnerungen-eines-Ueberlebenden/9484829 (17.12.2021).