Karl Stojka

(Wampersdorf 1931 – Wien 2003): Roma-Überlebender

„Hilfe, mein Gott, was haben diese Menschen mit uns gemacht?“

Prof. Karl Stojka
Sonja Haderer-Stippel

Die Geschichte der Familie Stojka wurde bereits im Portrait von Karl Stojkas Schwester Ceija beschrieben. Karl Stojka entschloss sich spät, als Zeitzeuge nach außen zu gehen, und vor allem, seine Erinnerungsbilder in Gemälden festzuhalten. Von Karl Stojka gibt es ein in seiner Intensität irritierendes Interview für die von Steven Spielberg initiierte Shoah Visual History Foundation, das tief in die Abgründe des Überlebens blicken lässt. Er blieb auf seine Art und Weise widerständig und erzählte in einer unvergleichlichen Art und Weise, die Klischees bestätigte, irritierte und konterkarierte. Sie seien wie Nomaden herumgezogen, die Lovara-Familie habe mit Pferden gehandelt, die Mutter sei auch Wahrsagerin gewesen. Bei den Bauern habe sie natürlich Hühner gestohlen, das hätten die auch gewusst, hieß es doch: „Ui, die Zigeiner kommen. Gebt‘s die Wäsche weg und die Hendl und die Kinder.“ Gegen das Vorurteil, dass Kinder gestohlen worden seien, verwehrte sich Karl Stojka massiv, gab es doch genügend Kinder in den Familien wie in seiner mit sechs Kindern.

Wie sein Vater abgeholt und im KZ interniert wurde und schließlich ein Paket mit seinen Habseligkeiten wie einem Anzug, den Schuhen, dem Hemd und außerdem mit der Asche und den Knochen ankam, beschreibt Karl Stojka in drastischen Worten. Als tiefgläubige Katholikin wollte seine Mutter eine katholische Beerdigung, die wegen der Verbrennung eigentlich nicht legal war. Der Priester unterstützte sie dennoch. Die Mutter vergrub mit ihren Händen die Asche, die Knochen und ihr eigenes Haar, das sie sich abgeschnitten hatte, mit dem Segen des Priesters. Das Kind Karl konnte das nicht verstehen, hoffte, den Vater auf der Straße wiederzufinden. 1943 holte ihn die Gestapo aus der Schule und brachte ihn in die Rossauer-Kaserne. Er wurde mit seiner Familie nach Auschwitz-Birkenau deportiert. Im Waggon eingepfercht, starben zuerst die Kleinkinder, dann die Alten und die größeren Kinder. Die Kinder schrien vergeblich: „Durst, Durst, Hunger, Durst, Durst.“ Er beschrieb es drastisch: „… uns ist die Scheiße so heruntergelaufen, angepisst haben wir uns, angeschissen haben wir uns. Das ist alles nur so heruntergelaufen, der Kot und der Schmutz. Und dort die Toten. Hilfe, mein Gott, was haben diese Menschen mit uns gemacht?“

Auch er beschreibt, wie sein kleiner Bruder Ossi im Zigeunerlager von Auschwitz-Birkenau an Fleckfieber starb, das Wunder, dass alle anderen überlebten, dann die Trennung von der Mutter und den Schwestern und sein Überleben in den KZ Buchenwald und Flossenbürg und am Ende den Todesmarsch. Er war mit Wiener Juden befreundet, und sie haben sich, so die Erzählung, gegenseitig das Leben gerettet. Sein Freund Fredl konnte nicht mehr: „Und dann hab ich ihn auf den, aufn Buckel genommen und hab ihn geschleppt halt irgenda paar Meter.“ Dann wiederum half Fredl: „Diese Juden haben mir das Leben gerettet, weil ich konnte einmal nicht mehr gehen, haben sie mich geschleppt, am Buckel.“ Als Karl Stojka am Todesmarsch einen amerikanischen Panzer sah, fantasierte er, der Panzerfahrer sei Gott: „Danke, Gott, dass du endlich gekommen bist, danke, Herrgott.“ Der habe gewinkt und nur freundlich gesagt: „Go, go, go.“

Das Erinnern war für Karl Stojka wie für viele andere Überlebende eine Bürde. Im Interview litt Karl Stojka völlig erschöpft darunter, dass er nur so wenig von all dem Furchtbaren fähig war zu erzählen. Wie andere, die sich erinnerten, wusste er, dass er danach nächtelang nicht schlafen werden könne: „Weil man ist ja dort … schlaf ich und ich bin in Auschwitz wieder oder in Birkenau. Wieso ist das möglich?“

Österreichs Kulturlandschaft profitiert übrigens in vielfacher Weise vom Überleben der Stojkas. Der Sohn von Karl Stojka ist der legendäre Jazzgitarrist Karl Ratzer, der Sohn des Bruders von Karl Stojka, Johann Mongo Stojka, ist der Gitarrist Harri Stojka.

 

Literatur

Gerhard Grassl (Hrsg.), Karl Stojka. Nach der Kindheit im KZ kamen die Bilder, Wien 1992.

Karl Stojka, Mein Name im Dritten Reich: Z 5742, Wien 2000.

Karl Stojka, Wo sind sie geblieben …? Geschunden, gequält, getötet – Gesichter und Geschichten von Roma, Sinti und Juden aus den Konzentrationslagern des Dritten Reiches, hrsg. von Sonja Haderer-Stippel, Oberwart 2003.

Mongo Stojka, Papierene Kinder. Glück, Zerstörung und Neubeginn einer Roma-Familie in Österreich, Wien 2000.

Karl Stojka, Interview 43.504. Visual History Archive. USC Shoah Foundation. Transkript Freie Universität Berlin. 2012: http://www.vha.fu-berlin.de (23.3.2015).