Karl Motesiczky

(Wien 1904 – Auschwitz 1943): Ein uneigennütziger „Judenretter“

Woher nahm er die Kraft?

Die Persönlichkeit Karl Motesiczkys kurz zu beschreiben, ist aufgrund seiner ungewöhnlichen Biografie zum Scheitern verurteilt. Seine Mutter stammt aus einer der reichsten, assimiliert-jüdischen Familien Wiens, der Familie Lieben, sein Vater aus einem ungarischen Adelsgeschlecht. Er wuchs protestantisch auf, was ihn nach den rassistischen Kriterien der NS-Zeit zum „Mischling 1. Grades“ machte. Wegen seiner betuchten Familie war er nie gezwungen, sich um einen Lebensunterhalt zu kümmern, sondern konnte mehrere Fächer studieren, engagierte sich schließlich politisch auf kommunistischer Seite und schloss sich dem Kreis rund um den Psychoanalytiker und Sexualforscher Wilhelm Reich an. Er lebte in mehreren Ländern: Deutschland, Dänemark, Schweden. Ende 1937 kehrte er nach Österreich zurück. Anders als seine Schwester, die Malerin Marie-Louise von Motesiczky, und seine Mutter Henriette von Motesiczky, die zunächst in die Niederlande und danach nach England flüchteten, entschloss sich Karl Motesiczky, in Österreich zu bleiben: „Wer wird Widerstand leisten, wenn alle gehen …“ Ein anderer Grund war, den Familienbesitz, ein Anwesen im niederösterreichischen Hinterbrühl, vor einer Enteignung zu bewahren.

Sein Haus wurde Treffpunkt für Personen mit ähnlicher Gesinnung, aber es bot in der NS-Zeit auch Jüdinnen und Juden Schutz, für die die Lage zunehmend gefährlicher wurde. Personen, die später über Karl Motesiczky berichteten, nannten sein Anwesen „Judenzufluchtsstätte“. Im Herbst 1938 begann die Bekanntschaft mit Ella und Kurt Lingens, die später mit ihrem kleinen Sohn ebenfalls in Hinterbrühl wohnten. Gemeinsam mit ihnen versuchte er, zwei jüdische Ehepaare aus Polen über die Grenze in die Schweiz zu schmuggeln. Der dafür vorgesehene Mittelsmann war ein Jude namens Klinger, der für die „Jupo“ (Judenpolizei) arbeitete. Er verriet das Vorhaben, was ihn nicht davor bewahrte, selbst im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau ums Leben zu kommen. Wie Ella Lingens wurde Karl Motesiczky im Oktober 1942 von der Gestapo verhaftet und im Februar 1943 nach Auschwitz deportiert, wo er am 25. Juni 1943 im Häftlingskrankenbau starb.

Was ihm die Kraft gab, so zu handeln, gibt zu denken. Sein Freund Bruno Seidel war anwesend, als er ein jüdisches Ehepaar in seiner Wohnung versteckt hatte: „Der gute Karl, der immer mit den kleinen, äußeren Dingen des Lebens im Kampfe lag, legte in diesem Moment großer Gefahr, die für ihn und seine Umgebung damals bestand, eine solche heitere und souveräne Ruhe an den Tag, daß ich ihn noch heute darum bewundere.“ Die von Christiane Rothländer verfasste Biografie endet mit einem Zitat von Karl Motesiczky aus einem Brief an seine Schwester 1939: „Vielleicht besteht die ganze Kunst, glücklich zu sein, in der Kunst, nicht an sich selbst zu denken.“

Heute befindet sich am ehemaligen Anwesen von Karl Motesiczky das SOS-Kinderdorf Hinterbrühl mit einem von seiner Mutter und Schwester initiierten Gedenkstein für Karl Motesiczky aus dem Jahr 1961. Er wurde 2000 zerstört und mit Hakenkreuzen beschmiert, auf Initiative des Kinderdorfes aber wieder instand gesetzt. 1980 wurde Karl Motesiczky von Israel als „Gerechter unter den Völkern“ posthum ausgezeichnet.

Literatur

Christiane Rothländer, Karl Motesiczky 1904–1943. Eine biographische Rekonstruktion, Wien 2010.

Erika Weinzierl, Zu wenig Gerechte. Österreicher und die Judenverfolgung 1938–1945, Graz-Wien-Köln 41997.